Heimindustrie. Andreas Steinemann + Vicky Kim
In einer Ausstellung in der Galerie Milchhütte zeigen Vicky Kim und Andreas Steinemann ihre Wandzeichnungen, Druckgrafien, Collagen und raumgreifende Objekte umfassenden Werke. Unter dem Einbezug der räumlichen Strukturen und architektonischen Bedingungen widmet sich die Präsentation ihrer Arbeiten sowohl dem Entstehungs- als auch dem der Gestaltung vorangehenden Wahrnehmungsprozess, der nicht nur auf das materiell Sichtbare, sondern auch auf die Generierung von Vorstellungs- und Erinnerungsbildern gerichtet ist. In seiner Auseinandersetzung mit dem Prozess der Abstraktion und der medialen Übersetzung vom imaginierten Bild zur physisch erfahrbaren Keramik beschäftigt sich Andreas Steinemann mit der komplexen Beziehung zwischen der Visualisierung und der Produktion bildnerischer Inhalte. In ihren Rauminstallationen untersucht Vicky Kim anhand der Aneignung unterschiedlicher, beim physischen Akt des Malens entstehender (gewollter und ungewollter) Spuren in Verbindung mit deren sozialen und kulturellen Konnotationen das zeitgenössische Verständnis der künstlerischen Performanz.
Wenn man Andreas Steinemanns Keramikarbeit in nur zwei Worten beschreiben müsste, würde man die Begriffe «schlicht» und «dynamisch» verwenden. Hinter der prägnanten und reduzierten Form seiner Werke stehen jedoch vielschichtige Überlegungen und zahlreiche Entscheidungen in Bezug auf die logische Anordnung, das entstehende räumliche Erlebnis und die Qualität der hervorgerufenen Emotionen. Der auf den ersten Blick fast geometrisch anmutenden Formsprache liegen seine Beobachtungen in der Natur und die damit verknüpften Eindrücke und Empfindungen zugrunde. Die für ihn charakteristische, spielerisch wirkende konkave und konvexe Oberfläche beispielsweise geht auf eine persönliche Naturerfahrung zurück, die er am Hallwilersee gemacht hat. Basierend auf der intensiven Beobachtung der Wasseroberfläche des Sees entstanden Fotografien von Wellen und Wasserkreisen, die er auch zeichnerisch festhielt. Die Analyse der visuellen Eigenschaften von Wellenbewegungen und Lichtreflexen übersetzt Steinemann in vereinfachte Formen, zum Teil unter der Verwendung von überlappenden Farbflächen in blau, gelb und schwarz. Es scheint, als ob das persönliche, visuelle Erlebnis in ein Raster übertragen und durch geometrische Anordnung in vereinfachte Muster transformiert wird. Mehrere Skizzen mit gleichem Motiv, aus dem sich unterschiedliche Formen ergeben, belegen Steinemanns spielerischen Umgang mit den Ordnungsprinzipien. Muster entstehen z.B. durch Angleichung, Spiegelung, Kontrastierung und Variierung der Proportionen. Der Bezug zur Konkreten Kunst ist zwar nicht übersehbar, aber die kritische Auseinandersetzung mit der Formwahrnehmung geht über die rein formalistische Idee hinaus: Der Künstler fragt nach der Relation zwischen Erfahrung und Bild, bewusster Formung und unbeabsichtigtem Effekt, Einzelform und Muster und Gesetzmässigkeit und Ausnahme in Bezug auf die Struktureigenschaften und den Wahrnehmungsprozess. Die Schlichtheit seiner keramischen Objekte und Gefässe resultiert aus unzähligen Experimenten mit Raumflächen und Farbbeziehungen. Die in die Ausstellung integrierten Collage-Arbeiten, die spielerisch-intuitiv entstanden sind, erinnern an sich verändernde Bilder – prozesshaft beinahe wie beim Lego- oder Bauklötzespiel eines Kindes entwickeln sich räumliche entoptische Bilder und zeigen komplexe Prozesse von Ausdrucksmöglichkeiten und Effekten. Die Werkserie «Falten» umfasst hauchdünne, transluzente Porzellangefässe, deren wie gefaltetes Papier aussehende Oberflächenstruktur spezifische Muster hervorbringt. Das Spiel mit Licht und Schatten, das durch die Fältelung hervorgerufen wird, macht auf die ambivalente Struktur der Muster aufmerksam, die mal dreieckig, mal rautenförmig erscheinen und durch ihre Wiederholung wellenartig wirken. Die Gefässe der Serie «Leaf», die einen elastischen und leichten Anschein erwecken, basieren auf Konstruktionsexperimenten mit an Blättern orientierten, vereinfachten Formen, die oval, halb-oval oder tropfenartig sind.
Die Künstlerin Vicky Kim verbrachte ihre prägenden Jahre mit dem Studium des Tanzens, bevor sie sich mit der Welt der visuellen Künste vertraut machte. Dies mag einer der Gründe sein, warum bei ihren Arbeiten die performative Bewegung und die körperliche Präsenz eine grosse Rolle spielen. Körperliche Spuren im Raum sind ihr zentrales künstlerisches Material und die kritische Reflexion der Körperrepräsentation im historischen und geografischen Kontext steht bei ihr im Fokus. Kim untersucht die Art und Weise, wie der Körper zu einer Funktion der Bilder wird, die wir (von ihm und durch ihn) machen.
Für «Heimindustrie» hat sich Kim von ihrem laufenden Projekt «Finger Bowl Thumb Nail» inspirieren lassen – eine Serie von alltäglichen «Gemälden» oder Kritzeleien, die schnell mit Tinte auf Zeichenfolie ausgeführt und als Siebdruck auf Tapete reproduziert werden. Auf die Werkbänke und Tische im Atelier der Künstlerin zugeschnittene und abgeklebte Acetatblätter dienen als tropftuchähnliche Oberflächen, um Ablagerungen und Gebrauchsspuren zu sammeln. Verschiedene Brauntöne werden im Voraus gemischt und entweder direkt von Hand oder mit Schwämmen, Lappen und verschiedenen Gegenständen aufgetragen. Die Abdrücke – einige kalkuliert, andere improvisiert, manche völlig zufällig – entstehen im Laufe von mindestens mehreren Tagen, wobei die Farbe über Nacht trocknen muss, damit die Blätter am Morgen ausgetauscht oder angepasst werden können. Manchmal werden Blätter übereinandergelegt und mit Klebeband zu neuen Konfigurationen zusammengefügt oder unerwünschte Teile herausgeschnitten oder mit Reinigungsalkohol abgewischt.
Spritzer, Flecken, Kratzer, Überlagerungen und Verschmierungen haben erstaunliches Potenzial zum Auslösen von Emotion, weshalb ihnen seit der Moderne immer wieder die Aura des Authentischen oder direkt Expressiven anhaftet. In Anspielung auf die Ambivalenz zwischen künstlerischem Ausdruck und alltäglicher Gebrauchsspur versucht Vicky Kim die Beziehung zwischen Produktionsakt und visuellem Effekt kritisch zu beleuchten. Die Negation von Direktheit und Originalität durch den Einsatz des Siebdruckverfahrens und somit der technischen Vervielfältigung vergrössert die emotionale Distanz zum Dargestellten. Darüber hinaus suggeriert ihre Rauminstallation, die mit fotografischer Reproduktion (meistens in Form von Frauenbildern aus Zeitschriften) kombiniert wird, dem Betrachter Gefühle mitunter gegensätzlicher Qualität. So können die abstrakten Spuren-Bilder sich mal angenehm anfühlen oder auch in Unruhe versetzen.