Die Suche nach Perfektion in der Unvollkommenheit –
Hans Aeschbach und seine Wegbegleiter Walter Binder, Louis Conne und Otto Teucher
Yujin Kim
Bei der sorgsamen Betrachtung der Werke von Hans Aeschbach stelle ich fest, dass ihre Ästhetik mich an die «Wabi Sabi»-Prinzipien erinnert. Die auf Wabi Sabi beruhende Denkweise geht zurück auf Sen no Rikyū – ein bekannter japanischer Tee-Meister und Zen-Mönch aus dem 16. Jahrhundert. Wabi (Armut) steht für den Willen zur Einfachheit und das Ablehnen des Pracht- und Prunkvollen. Sabi (Patina) bezeichnet die Zufriedenheit mit den gegebenen Lebensbedingungen, das Akzeptieren, dass alles der Vergänglichkeit ausgesetzt ist. Die Wabi Sabi-Weltanschauung beinhaltet das Streben nach der direkten Beziehung zur Natur und das Erkennen der Schönheit im imperfekten Zustand der Dinge. Diese geistige Haltung trifft insofern auch auf die Werke Aeschbachs zu, als sie häufig in ihrer Abstraktion auf den minimalen Ausdruck der Farben und Formen reduziert sind und den natureigenen Prozess des Entstehens und Vergehens reflektieren. In ihrer unabgeschlossenen, in Verwandlung begriffenen und imperfekten Erscheinungsform repräsentieren sie harmonische Schönheit und stehen somit ganz im Geiste des Wabi Sabi-Ideals. Das Verknüpfen des inzwischen auch bei uns bekannten Begriffs aus der japanischen Kultur mit dem Werkverständnis eines Schweizer Künstlers mutet vielleicht zunächst etwas seltsam an, aber im Hinblick auf Hans Aeschbachs anhaltendes Interesse an der ostasiatischen Kalligrafie und der japanischen Kunst scheint diese Verbindung nicht so weithergeholt. Seine Lehrerkollegen an der Kunstgewerbeschule Zürich (KGSZ) Johannes Itten, Walter Binder und Emil Müller waren im Übrigen alle Kenner des Zen-Buddhismus.
Das malerische Schaffen Aeschbachs, das anfangs puristisch und surrealistisch geprägt war, orientierte sich ab den 30er-Jahren an der biomorphen, organischen Abstraktion, die sich mit der Zeit dann zur dichten, mit Bewegung und leuchtenden Farben gefüllten Raumkonstruktion entwickelte. Durch den Einsatz von Farbkontrasten und sich wiederholenden Linien erzeugt Aeschbach ein Gleichgewicht von Farben und eine zarte Bewegung in seiner Malerei. Seine Bildkonstruktion, die ursprünglich aus der Analyse der Form und der Struktur einer Spirale entstanden ist, weist vielfältige und komplexe Variationen auf. Für Aeschbach stellte die Spirale die Essenz der urtümlichen Naturform und das Symbol des kosmischen Prinzips der Verwandlung und Vergänglichkeit dar; dieses motivisch-thematische Interesse findet man auch in der Malerei von Gustav Klimt, Friedensreich Hundertwasser, Paul Klee, Hans Arp und Max Ruedi. Die Form und die Struktur der Schnecke wurde von Aeschbach immer wieder zerlegt und neu zusammengesetzt präsentiert. Auf diese Weise setzte der Künstler sich mit verschiedensten kompositorischen Konzepten von Spiralbewegungen und Rundungen auseinander. In seiner seriellen Kunst versuchte Aeschbach, über die ästhetische Darstellung der natürlich gegebenen Struktur der Schnecke hinaus, die Linien des Schneckenhauses als Gestaltungsgrundlage zu nutzen, um verschiedene Wirkungsweisen von Farbkontrasten auszuloten oder verschiedene Möglichkeiten der räumlichen Anordnung von Linienstrukturen auszuprobieren. Die in der Spirale sich einwärts und auswärts drehende Bewegung einerseits und die von der Mittelachse ausgehende bilaterale Ausdehnung andererseits wurden von ihm im Verlauf der Jahre konstant zu zwei wichtigen Kompositionsschemata entwickelt.
Das Herstellen einer Analogie zwischen bildnerischem Konstruktionsprinzip und biologischen Phänomenen bildet auch den Kerngedanken der organischen, amorphen Abstraktion von Walter Binder (1909-1968). Die zusammengeführten Flächen in Walter Binders Ölbildern stellen die Wiederholung von Angleichung und Kontrastierung von Bewegungen wie Spiegeln, Drehen, Kreuzen und Verschieben dar, welche an organische Prozesse wie Wachstum und Vermehrung erinnern. Auch der Bildhauer Louis Conne (1905-2004), der von 1946 bis 1971 an der KGSZ für das Unterrichten des Fachs «Modellieren» zuständig war, spielte im Hinblick auf die Methode der organischen Abstraktion eine bedeutende Rolle.
Er war ein Vertreter der Abstraction-Création in Paris (1931-34) und hatte an der Seite von Hans Arp und Barbara Hepworth die Position der nicht-geometrischen Abstraktion eingenommen. Connes Eisenplastik «Bewegung im Raum» (1968) und seine Metamorphosen-Serie aus den 60er-Jahren können als Ausdruck einer körperlichen Bewegung im wiederholten Spiel von Spiegelung und dem Abweichen von Spiegelung gelesen werden. Der linear angelegte, konturbetonte Aufbau, der aus rechteckigen Eisenplatten und -stangen zusammengeschweisst ist, lebt von dynamischen Richtungswechseln. In Bezug auf die Abweichung von der geometrischen Normvorstellung, wie wir sie beispielsweise von Quadern oder Würfeln haben, oszillieren Otto Teuchers (1899-1994) Plastiken zwischen geometrischer Form und organischer Felsformation. Seine Werke machen durch die pulsierende Gegensätzlichkeit von eckig-rund, gross-klein und flächig-räumlich den Kontrast als Ursprung der menschlichen Wahrnehmung bewusst.
Der Naturbezug, die Harmonie mit der Umwelt und die naturnahe Abstraktionsmethode gehören zum künstlerischen Konzept der ausgestellten Künstler. In ihrer Kunst wird der Blick nicht nur auf die Regelhaftigkeit und die strukturelle Ordnung von organischen Formen gerichtet, ihrer Unvollkommenheit, bedingt durch Zufälle, Asymmetrie oder Abweichung, wird ästhetisch gleichermassen Beachtung geschenkt.